Blickpunkt Immobilien: Wien als Epizentrum der europäischen Immokorrektur?

Europaweit sind die Wohnimmobilienpreise im Sinkflug. Die Aufregung war groß, als im Vormonat die Meldung die Runde machte, wonach Wien in dieser Hinsicht trauriger Spitzenreiter wäre. Jedoch sind Zweifel an dieser Hypothese angebracht. Denn die erwähnte Preiskorrektur von 12 % auf dem Wiener Wohnungsmarkt stellt lediglich eine Annäherung der über mehrere Jahre „davongeeilten“ Angebotspreise an die Realität (= Transaktionspreise) dar.

Wien: Angebotspreise sind nicht gleich Transaktionspreise

Im Mai sorgten Meldungen hierzulande für Aufsehen, wonach Wien das Epizentrum der europäischen Immobilienmarktkorrektur sei. Demnach verbilligten sich Wohnungen in Wien seit dem im Vorjahr verzeichneten Höhepunkt um 12 % – so viel wie in keiner anderen der untersuchten europäischen Städte. Was ist davon zu halten? Grundsätzlich ist zwischen Angebots- und Transaktionspreisen zu unterscheiden. Während erstere zunächst die Wunschvorstellung des Verkäufers widerspiegeln, stellen letztere den tatsächlich erzielten Verkaufspreis dar. In der Tat gingen die inserierten Preise laut Daten von immopreise.at (auf diese Daten wurde Bezug genommen) im (ungewichteten) Durchschnitt aller Wiener Bezirke seit dem im zweiten Quartal des Vorjahres verzeichneten Preisgipfel um besagte 12 % zurück. Allerdings ist dies lediglich als Annäherung der Angebotspreise an die Realität (= Transaktionspreise) zu sehen. Denn seit Anfang 2013 sind die Angebotspreise den tatsächlichen Transaktionspreisen immer weiter davongeeilt. Wunsch und Wirklichkeit klafften also immer weiter auseinander (am Höhepunkt um 12 %, in Relation zum Basiswert Q1 2013), im Zuge der Zeitenwende auf dem Immobilienmarkt werden die Angebotspreise in Wien nun auf den Boden der Realität zurückgeholt. Es ist daher zu erwarten, dass die Korrektur der Transaktionspreise weniger markant ausfällt, als es der Blick auf die Angebotspreise suggeriert. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass beim angestellten Ranking europäischer Metropolen sowohl Angebots- als auch Transaktionspreise verglichen worden sind.


* Der Angebotspreisindex wurde mit Inseratspreisen von immopreise.at zum Basiswert 2013 Q1 berechnet. Für den Transaktionspreisindex der OeNB wurde derselbe Zeitpunkt als Basiswert genutzt.
Quelle: OeNB, immopreise.at, RBI/Raiffeisen Research

Bundesländer: Bisher nur moderate Korrektur der Angebotspreise

Ferner zeigt ein Blick unter die gesamtösterreichische Oberfläche: „Wien ist anders“. Denn obwohl die Angebotspreise von Einfamilienhäusern (diese stellen außerhalb Wiens die relevantere Kategorie dar) im restlichen Bundesgebiet (Ö exkl. Wien) den Transaktionspreisen in den letzten Jahren mit einer Abweichung von zeitweise mehr als 20 % noch stärker davongeeilt sind als jene der Wiener Wohnungen, haben die Verkaufsinteressenten von Einfamilienhäusern abseits Wiens ihre Preisvorstellungen seit dem Höhepunkt nur um vergleichsweise moderate 4,5 % korrigiert, unter Verwendung von Quartalsdurchschnitten sind es sogar nur etwa 3,7 %. Wie passt das zusammen?


* Der Angebotspreisindex wurde mit Inseratspreisen von immopreise.at zum Basiswert 2013 Q1 berechnet. Für den Transaktionspreisindex der OeNB wurde derselbe Zeitpunkt als Basiswert genutzt.
Quelle: OeNB, immopreise.at, Statistik Austria, ÖROK, RBI/Raiffeisen Research

Unterschiedliche Eigentümerstruktur erklärt unterschiedliche Angebotspreisentwicklung

Eine mögliche Erklärung liefert die unterschiedliche Eigentümerstruktur. In Wien lag die Eigentumsquote 2021 bei 19,3 %. Nicht einmal jeder fünfte Wiener Haushalt wohnt also in den eigenen vier Wänden. Im Vergleich dazu betrug die Eigentumsquote in den übrigen Bundesländern (bevölkerungsgewichtet) 56 %. Es ist also ein deutlicher Unterschied in der Eigentumsstruktur zwischen der Hauptstadt und dem Rest Österreichs zu beobachten. Und das ist in diesem Zusammenhang durchaus von Bedeutung. Denn: wissenschaftliche Studien (z.B. Genesove und Mayer, The Quarterly Journal of Economics, November 2001) haben gezeigt, dass Kleinanleger und Personen, die in ihrem Eigenheim leben, eine deutlich höhere Verlustaversion aufweisen, wenn es um die Veräußerung von Wohnimmobilien geht. Es ist also naheliegend, dass die unterschiedlichen Angebotspreisentwicklungen zwischen Wien (deutlicher Rückgang) und den übrigen Bundesländern (vergleichsweise moderater Rückgang) weniger durch die vergangene Preisdynamik verursacht werden (die war ja in Ö exkl. Wien dynamischer), sondern eher durch die Unterschiede in der Eigentumsstruktur. Natürlich hat das auch Implikationen für die zukünftige Preisentwicklung in den verglichenen Marktsegmenten. Die Literatur zeigt nicht nur, dass Kleinanleger eher dazu neigen, ihre Preisvorstellungen langsamer anzupassen, sondern auch, dass die höhere Verlustaversion dazu führt, dass Wohnimmobilien, sofern nicht unbedingt notwendig, nicht mit hohen Verlusten veräußert werden. Bei Großanlegern, die häufiger Umschichtungen in ihren Investmentportfolios vornehmen, ist die Bereitschaft, kurzfristig Verluste zu realisieren, höher.

Zumindest vor diesem Hintergrund sollte es nicht überraschen, wenn die Preiskorrektur in Wien deutlicher ausfiele als im Rest Österreichs (siehe hier für unseren allgemeinen Immobilienausblick). Dass Wien damit gleichzeitig auch zum Epizentrum der europäischen Immopreiskorrektur avanciert, bedeutet das jedoch nicht (automatisch).

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Fabian BLASCH

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Fabian Blasch ist seit Oktober 2022 ein Teil des Raiffeisen Research Teams. Seine Abschlüsse in Statistik und Economics ermöglichen es ihm, vorwiegend quantitative Analysen durchzuführen. Neben seinem Interesse an ökonomischen Zusammenhängen nutzt er sein Fachwissen auch, um Einblicke in den österreichischen Immobilienmarkt zu generieren. In seiner Freizeit geht Fabian im Sommer gerne Windsurfen und im Winter Skifahren.

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Matthias REITH

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Matthias Reith blickt auf mehr als 10 Jahre Erfahrung bei Raiffeisen Research zurück. Damals wie heute ist er verantwortlich für die Analyse der österreichischen Volkswirtschaft, im Jahr 2020 hat er zudem maßgeblich das österreichische Bundesländer-Immobilienresearch mit aufgebaut. Ferner befasst sich Matthias Reith mit anderen Euroländern sowie der gesamten Eurozone und nimmt dabei neben der Konjunktur insbesondere die Fiskalpolitik ins Visier. Matthias Reith kann neben regelmäßiger Vortragstätigkeit auch mehrjährige Unterrichtserfahrung vorweisen. Wandern zählt zu seinen Hobbys, das Land seiner schwerpunktmäßigen Analyse hat Matthias Reith zu Fuß von Ost nach West durchquert.